Aufreger Pflege und Gesundheit

Stop me if you think that you’ve heard this one before

Steinernes Facepalm

Es ist mal wieder an der Zeit. Zu lange haben die üblichen Blitzmerker nicht mehr versucht, die Pflege in den Dreck zu ziehen. Doch nun, wo sich die willigen Großkoalitionären in ihrem 185 Seiten langen Vertag sehr bemüht haben, Allgemeinplätze nett zu sortieren, die weiträumig am Thema Pflegenotstand vorbeisegeln, meint der Kölner Stadt-Anzeiger mal wieder eine Meinung zu haben.

Zunächst wird am Tag der Menschenrechte ein Artikel veröffentlicht, der sehr zu Recht auf den grassierenden Alltagsrassismus in Deutschland hinweist (leider nicht online verfügbar). Ganz am Ende kommt der Autor auf die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter zu sprechen, die Pflegeeinrichtungen in Deutschland darauf kontrollieren soll, ob freiheitsentziehende Maßnahmen menschenrechtswidrig eingesetzt werden. Mal davon abgesehen, dass schon die Benennung der Stelle einen unsäglichen Generalverdacht über alle Pflegeeinrichtungen auskippt, bemängelt der Autor, dass die Stelle zu gering besetzt sei und daher keine Einrichtungen kontrolliert würden. Dies ist zwar zutreffend, erweckt aber auch den falschen Anschein, dass die Bewohner von Pflegeeinrichtungen der Willkür der Angestellten ausgeliefert seien, weil niemand die Ordnungsgemäßheit von freiheitsentziehenden Maßnahmen prüfe. Dies jedoch ist hanebüchener Blödsinn.

Erstens kontrollieren mindestens Heimaufsicht und der Medizinische Dienst der Krankenkassen jährlich alle Heime unangemeldet.1 Bei diesen Prüfungen werden auch freiheitsentziehende Maßnahmen geprüft. Die Heimaufsicht prüft dies im aktuellen Rahmenprüfkatalog in Kapitel 7 Punkt 9, der MDK in den Punkte 18.2 und 18.3 des Erhebungsbogens für stationäre Einrichtungen. Geprüft werden das Vorliegen von Einwilligungen bzw. richterlichen Genehmigungen sowie die regelmäßige Überprüfung der Notwendigkeit der Maßnahme. Wenn nicht jede fixierende Maßnahme richterlich genehmigt ist, die freiheitsentziehend wirkt und nicht nur weniger als 24 Stunden lang zur Abwendung akuter Gefahren angewendet wird, bekommen die Einrichtungen böse auf die Finger.

Die Prüfung auf freiheitsentziehende Maßnahmen ist seit langem Bestandteil der Prüfungen, und alle mir bekannten Einrichtungen setzen dies in diesem Wissen so um, dass sie selbst für diejenigen Pflegebedürftigen, die keinerlei willentlich gesteuerte Bewegung mehr zeigen bzw. zu Bewegungen nicht mehr in der Lage sind, richterliche Genehmigungen einholen. Wenn jemand aber nicht mehr in der Lage ist, sich zu bewegen, würde eine Fixierung gar keine Freiheitsentziehung darstellen, worauf die Richter, die jeden einzelnen Fall mit persönlicher Inaugenscheinnahme begleiten, auch gerne hinweisen.

Dennoch ist die Pflege in vielen Fällen schon weiter: Sie hat erkannt dass Fixierungen keine Lösung für pflegerische Probleme sein kann, weil durch solche Maßnahmen ein erhebliches Risiko für Gesundheitsgefahren entsteht. Dies resultiert entweder darin, dass fixierte Personen an Kraft und Balance verlieren, womit das vermeintlich vermiedene Sturzrisiko für die Zeiten, wo die Person nicht mehr fixiert ist (z.B. für Transfers auf die Toilette) dramatisch ansteigt, oder darin, dass es eine dramatische Anzahl von Fällen gibt, bei denen Pflegebedürftige an Bettgittern, Bauchgurten oder ähnlichen Produkten zu schweren Verletzungen bis hin zum Tode gekommen sind. Deswegen gibt es Projekte wie ReduFix oder den Werdenfelser Weg. Deswegen bekommt das Thema Freiheitsentzug in der Überarbeitung des Wohn- und Teilhabegesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen zum Gesetz zur Entwicklung und Stärkung einer demographiefesten, teilhabeorientierten Infrastruktur und zur Weiterentwicklung und Sicherung der Qualität von Wohn- und Betreuungsangeboten für ältere Menschen, pflegebedürftige Menschen, Menschen mit Behinderung und ihre Angehörigen (GEPA NRW)2 ein noch stärkeres Gewicht. Deswegen reisen Rolf-Dieter Hirsch, der ehemalige Chefarzt der Gerontopsychiatrischen Abteilung der Rheinischen Kliniken in Bonn oder Thomas Klie und Madeleine Viol von der Evangelischen Hochschule Freiburg durchs Land, um Pflegekräften Mut für den Widerstand gegen Fesselungen zu machen. Deswegen versuchen Pflegekräfte in der gesamten Republik aufopferungsvoll, alte Denkmuster zu hinterfragen, um Wege zu finden, auf Fixierungen zu vermeiden. Es geht nicht nur darum, auf unnötige Fixierungen zu verzichten, sondern darum, zu erkennen, dass eigentlich alle Fixierungen unnötig sind. So viel dazu, ob der entstehende Generalverdacht gerechtfertigt ist.

Der Kölner Stadt-Anzeiger hat noch einen zweiten, überdies viel zitierten Artikel darüber, dass in Leverkusen besorgte Bürger eine Aufstockung der lokalen Heimaufsicht fordern. Für die 29 Einrichtungen im Kreis sind derzeit zwei Mitarbeiter zuständig. Dies ist eine Quote von 14,5 Einrichtungen pro Mitarbeiter. Das heißt, dass jeder Mitarbeiter etwas mehr als eine Einrichtung im Monat besuchen müsste. Bei der Heimaufsicht des Rhein-Sieg-Kreises sind fünf Mitarbeiter für 118 Einrichtungen zuständig. Bei einer Quote von 23,6 müssten die die Mitarbeiter jeden Monat zwei Einrichtungen besuchen. Ich halte die Kontrolle der Heimaufsicht im Rhein-Sieg-Kreis – insb. nach Ausscheiden der Mitarbeiterin, die für die Schließung eines Hauses in Much verantwortlich war, welche sich im Nachhinein als rechtswidrig herausgestellt hat – bei aller Genauig- und Ernsthaftigkeit für sehr am Wohlergehen der Bewohner sowie an konstruktiver Zusammenarbeit interessiert. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Einrichtungen sich offen zeigen und bereit sind, aus Fehlern zu lernen und Verbesserungen zuzulassen.

Dem Artikel ist zu entnehmen, dass eine Bürgerin namens Brigitte von Bonin auf der Internetseite Pflegelotse neben den Leverkusener Heimen den Hinweis „Bewertung nicht verfügbar“ gefunden habe. „Warum denn nicht?“ fragt von Bonin. Ich hätte da eine Vermutung. Auf der Seite pflegelotse.de finden sich alle Transparenzberichte des MDK, vorwiegend für die vollstationäre Pflege. Wenn die Einrichtungen zusätzlich eine Tagespflegeabteilung haben, ist diese z.T. tatsächlich noch nicht einzeln geprüft. Es gibt aber denn entsprechenden Bericht bei der Übersicht über vollstationäre Pflege. Dumm nur, dass diese Transparenzberichte nicht die Prüfungen der Heimaufsicht sind, die derzeit gar nicht veröffentlicht werden, sondern die von Qualitätsprüfungen des MDK. Es liegt sicherlich an vielem, dass Frau von Bonin keine Berichte der Heimaufsicht auf der Seite pflegelotse.de findet, aber mit Sicherheit nicht an einer vermeintlich schlechten Ausstattung der Heimaufsicht in Leverkusen.

Wenn Frau von Bonin möchte, dass Einrichtungen häufiger besucht werden, liegt es auch nicht an der Heimaufsicht. „Einmal jährlich sei der unangemeldete Kontrollbesuch obligatorisch, auf Anfrage werde öfter geprüft.“ Diese Anfrage ist ein recht entscheidender Punkt: Wenn Anzeichen für Missstände vorliegen, kommt die Heimaufsicht auch öfter heraus. Nur müssen diese Anzeichen eben vorliegen. Bürger, die nur sinnlos nach einer Aufstockung der Aufsicht schreien, sollten eher schauen, ob denn diese Anzeichen für Missstände tatsächlich vorliegen. Wer als Angehöriger tatsächlich konkrete Verdachtsmomente hat, sollte im Fall, dass ein Gespräch mit den Pflegenden bzw. der Einrichtungsleitung zu keiner Lösung hat führen können oder vermeintlich Gefahr im Verzug ist, die Heimaufsicht informieren. Es gibt sicherlich Einrichtungen, bei denen zu wenig im Lot ist und ein genauer Blick hilfreich sein kann. Ganz oft sind die vermeintlichen Defizite aber vorwiegend Missverständnisse und Kommunikationsprobleme, die weit davon entfernt sind, eine tatsächliche Gefahr für Leib, Seele und Leben der pflegebedürftigen Bewohner zu sein. Sich aus der Verantwortung zu stehlen, weil man möchte, dass der Heimaufsicht schon die Defizite auffallen werden, ist, wenn tatsächlich konkrete Verdachtsmomente bestehen, unverantwortlich. Und wer als Außenstehender ohne Einblick in die aufopferungsvolle Pflege vor Ort lediglich aufgrund von diffusen Ängsten und Vorurteilen die Pflege verteufeln will, darf gerne der Weisheit Dieter Nuhrs folgen.

Zum Glück ist die Forderung nur lokal begrenzt. Die Heimaufsichten in NRW leisten nämlich gute Arbeit. Auch der MDK stellt mit zunehmend verbesserten Ergebnissen so gut wie aller Einrichtungen fest, dass die ach so riesigen Missstände, mit der die Bild-Zeitung bei eklatanter Faktenverdrehung mit der ihr ganz eigenen Hyperventilation die Veröffentlichung der Berichte des MDK herbeipublizierte, zu relativieren sind. Es wäre schön, wenn man Pflege einfach nur mal arbeiten lassen würde, anstatt sich ständig neue Kontrollen auszudenken.

  1. Darüber hinaus gibt es noch jährliche unangemeldete Prüfungen durch Gesundheitsamt und Lebensmittel- und Veterinäramt sowie nicht ganz so engmaschige Prüfungen der Medikamentenverwaltung durch Amtsapotheker und Prüfungen der Medizinprodukte durch die Bezirksregierung. Außerdem gibt es regelmäßig Brandschauen und Überprüfungen der Arbeitssicherheit. Davon, dass niemand in Pflegeeinrichtungen prüfen komme, kann nun wirklich keine Rede sein.[]
  2. Nein, kürzer war das nicht zu haben. Wenn man bedenkt, dass die Abkürzung den Stellenwert von denjenigen wegnimmt, die in den Einrichtungen wohnen, nur damit das Gesetz besser zum Namen des Ministeriums passt, ist das vielleicht auch besser so, dass der lange Name davon ablenkt.[]

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