Netze und Systeme

Hilf Dir selbst

Screenshot Senso iHM

Als EDV-Beauftragter eines Altenheim erlebt man bisweilen spannende Dinge. So habe ich regelmäßigen Kontakt mit der Service-Hotline der bei meinem Arbeitgeber eingesetzten Heimverwaltungssoftware. Das Programm Senso der Firma Sigma (Teil der Develop-Group) wäre gerne eine Art eierlegende Wollmilchsau, weil es viele Möglichkeiten zur individuellen Anpassung eröffnet. Man könnte es mit dem Editor Emacs vergleichen1, einem „Newsreader“, der so viele Einstellungs- und Anpassungsoptionen bietet, dass mancher die Software mit einem Betriebssystem vergleicht.2 Es gibt aber einen großen Unterschied: Emacs ist eine ausgereifte Software, Senso ist über die Jahre mit den Anforderungen seiner Kunden gewachsen und wurde darüber so komplex, dass Fehler und Unvollkommenheiten nicht ausbleiben konnten. Leider wird die Software in Betrieben eingesetzt, in denen sich üblicherweise Menschen um die Software kümmern, die dies aus Kapazitätsgründen nur nebenher machen können3. Und viele Dinge, die die Software kann, kennen die Kunden kaum, weil sie umfassende Administration benötigen, für die die Ressourcen selten existieren. Dazu kommt, dass die Software in einer Art öffentlichem Beta-Test ist, weil die Programmentwicklung mit den Ansprüchen der Kunden wachsen muss, die vor allem auf Druck der Überwachungsbehörden zunehmen. So much for Entbürokratisierung.

Das ist alles jedoch kein Problem. Die Software funktioniert, und dass etwas nicht geht, liegt oft einfach daran, dass man es noch nicht (richtig) eingestellt hat. Man könnte sich manche Dinge selbst erarbeiten, wenn es eine entsprechende Dokumentation gäbe. Doch die existiert nur auszugsweise. Eine Online-Hilfe ist als Feature angelegt, aber ohne nennenswerte Inhalte. In der Standardinstallation finden sich Handbuch-Auszüge, die aber oft an den spannenden Stellen auf andere, nicht vorhandene Dokumente verweisen. Develop-Group hat das Problem aber erkannt und will statt eines vollständigen Handbuchs jetzt Lehr-Videos veröffentlichen.4

Neulich fuhr ich bis nach Erlangen, weil es eine Administratoren-Schulung zu Senso gab. Dumm nur, dass kein erfahrener Sysadmin (oder auch nur ein halbwegs talentierter Dozent) die Schulung hielt, sondern ein Entwickler5. Der kennt sich zwar wunderbare mit Code aus, aber Didaktik lässt sich nicht kompilieren. Er klickte mal hier, mal da, las so manchen Bildschirmtext ab und erklärte nebenbei ein paar neue Funktionen. So sei es jetzt möglich, Benutzer zu sperren, wenn sie drei Mal das falsche Passwort eingegeben haben. An eine Möglichkeit der Entsperrung dachte der Herr aber erst, nachdem ich danach fragte. Vorgesehen ist sie noch nicht. Weitere Details dieser vortrefflichen Veranstaltung, die wenigstens nichts kostete, aber genauso viel wert war, spare ich mir. (Es geht übrigens auch bei Develop-Group anders: Bei einer anderen Schulung des gleichen Unternehmens präsentierten zwei fachkundige Vertriebler viel Wissenswertes und nahmen Verbesserungsvorschläge dankbar auf.)

Heute hatte ich dann nach längerer Zeit mal wieder zwei Erlebnisse mit dem Support: Zuerst erklärte man mir als Antwort auf eine umfänglich beschriebene Fehlfunktion, dass dieser Fehler gar nicht existieren könne: Ein Text im Berichtswesen, der offensichtlich beim Speichern einer Leistung automatisch erzeugt wurde, könne nicht mit einer Leistung verknüpft sei, daher könne auch kein Zusammenhang zwischen dem automatisch erzeugten Text und einer nicht gespeicherten Leistung bestehen. Dann rief mich der Support an, um nährere Informationen zu einer anderen Fehlermeldung zu erhalten. Man bat mich um Logbuch-Einträge, die ich natürlich gerne zur Verfügung stellte. Dann fragte ich nach der Aussagenlogik in einer bestimmten Maske einer frei konfigurierbaren Auswertung zum Risikomanagement, und ehe ich mich versah, erklärte ich dem Software-Support, wie diese Auswertung zu parametrieren ist: „Klicken Sie hier, machen Sie dort einen Eintrag, klicken Sie jetzt oben rechts.“ Mir fiel es schwer, ernst zu bleiben, als ich der Dame vorschlug, die hilfreichen Videos zu konsultieren, die mir ihre Firma vor anderthalb Monaten zur Verfügung gestellt hatte. Sie kannte diese Videos nicht. Es war gut für meine Atemluft, dass ich rasch auflegen konnte.

Mich erinnert das manchmal an meinen unerfreulichen Besuch in der von Microsoft bereitgestellten Newsgroup microsoft.public.windows.inetexplorer.ie6.outlookexpress.wishlist, in der Microsoft nach Wünschen und Verbesserungsvorschlägen für die Weiterentwicklung des Mail- und Newsreaders Outlook Express fragte und dieses dann geflissentlich ignorierte.6 Dort hatte ich aber weniger zu lachen.

  1. Wenn man sich nicht dafür auspeitschen lassen müsste. []
  2. Dem dann aber ein brauchbarer Texteditor fehlt. []
  3. Zur (Unter-)Finanzierung der Pflege ist an anderer Stelle bereits viel gesagt worden. []
  4. Kommentare dazu, wie hübsch ich so etwas finde, verkneife ich mir lieber. Der Versuch ist schließlich ehrenhaft, und die hypnotische Stimme der Sprecherin hilft mir bestimmt auch mal bei Einschlafproblemen. []
  5. Für Ilse Aigner: „Software-Entwickler. Die letzten Menschen, die man eine Schulung durchführen lassen sollte. Konfus herumklicken kann ich selbst.“ Sebastian Boschert gefällt das. []
  6. Ein nachhaltig desillusionierter Bericht steht unter <9mhd5b.3vvacvb.1@hamster.sockenseite.de>. []
  1. Den Satz „Didaktik kann man nicht kompilieren“ nehme ich mit in den nächsten Workshop mit IT-Unternehmen. 🙂

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